Legende von der schönsten Blume und ihrer wundersamen Vermehrung
Die Geschichte erzählt von der schönsten Blume Chinas. Ursprünglich gab es nur eine einzige davon im Palastgarten des Kaisers Huan. Sie war einfach etwas ganz besonderes. Schon allein von ihrer Wuchshöhe glich sie eher einem kleinen Baum als den anderen Blumen im Garten. Jeder im Palast wusste, die Pflanze nur anzufassen oder gar zu beschädigen, würde strengstens bestraft werden.Sie war die Lieblingsblume des Kaisers Huan. Zur Blütezeit vergaß er alles andere und setzte sich in seinen Palastgarten und verglich die einzelnen Blüten, die sich in ihrem klaren Weiß gegenseitig zu übertreffen versuchten. Beim Anblick schien es ihm jedes Jahr mehr, als hätte er nie zuvor etwas Reineres und Anmutigeres gesehen. Das was ihn aber am meisten entzückte, war der dunkle Fleck in der Blütenmitte, der einen harmonischen Gegenpol zum Weiß bildete und ihn an schwarz glänzende Schreibtinte auf reinweißer Seide erinnerte. Manchmal hatte er nachts im Traum dieses für ihn vollkommene Bild vor Augen.
So oft er konnte, erzählte er der Kaiserin davon und beteuerte nie etwas Schöneres gesehen zu haben. In der ersten Zeit ärgerte sie sich nur darüber, im Lauf der Jahre aber wuchs ihre Eifersucht ins Unermessliche und sie beschloss, dem ranghöchsten Palastgärtner zu befehlen, alle Blütenköpfe der Pflanze bereits im Winter abzuschneiden., über den Befehl aber zu schweigen. Sie dachte, würden die Blüten einmal aussetzen, könne der Kaiser sich auch wieder ihrer Schönheit erinnern. Der Gärtner tat was ihm befohlen, obwohl er sich damit dem Zorn des Kaisers Huan aussetzen würde. Aber noch mehr trauerte er um das noch verbliebene Leben in den Knospen der Zweige, die bald absterben und verdorren würden.
Er dachte lange nach und erinnerte sich daran, wie es einem Säugling ergeht, wenn die Mutter noch auf dem Wöchnerinnenbett stirbt. Plötzlich wusste er, er musste eine Ammenwurzel finden, die die Knospen an den Zweigen wieder ernähren könnte, wie auch der Säugling wieder Nahrung an der Brust der Amme findet. Deshalb suchte er nach geeigneten Wurzeln und wählte dazu Blumen, die zwar nicht besonders schön waren, aber wenigstens ähnliche Blätter und Blüten trugen, wie die, die er abgeschnitten hatte. Er versah jede Wurzel mit einem kleinen Spalt und presste die angespitzten Zweige wie einen Keil hinein. Und siehe da, im nächsten Frühjahr trieben alle Zweige auf den Ammenwurzeln nicht nur Blätter, sondern sogar Blüten.
Inzwischen hatte der Kaiser vom Frevel an seiner Lieblingsblume erfahren. Nie gekannter Zorn erfasste ihn und er ordnete an, den Schuldigen zu finden und ihm so den Kopf abzuschneiden, wie er es mit den Blütenknospen getan hatte. Der Gärtner sah seine einzige Überlebenschance nur darin, dem Kaiser die kleinen blühenden Pflänzchen zu bringen und seine Schuld zu gestehen ohne die Kaiserin zu verraten. Tatsächlich verwandelte sich der kaiserliche Zorn beim Anblick der blühenden Pflänzchen in Sanftmut. Die wundersame Vermehrung erklärte er fortan zum Staatsgeheimnis. Den Palastgärtner begnadigte er natürlich und betraute ihn auf Lebenszeit mit der Pflege und Vermehrung seiner Lieblingsblume.
Und je mehr nun von diesen wunderschönen himmlischen Blumen jedes Jahr im Palastgarten hinzukamen und wie ein Ei dem anderen glichen, um so mehr wurde die Kunde von dieser unglaublich blühenden Blume in alle Welt getragen. Andere Kaiser und Könige wollten teilhaben an dieser Schönheit und schickten dem Kaiser wertvolle Gold- und Edelsteingeschenke. Da der Kaiser von China großmütig war und sich gerne von Schönheit beeindrucken ließ, nahm er einige Geschenke an und bedankte sich wiederum mit einer seiner kostbaren Lieblingsblumen.
Auch die Eifersucht der Kaiserin soll wie Schnee geschmolzen sein, nachdem Kaiser Huan seine Gattin hatte malen lassen mit einer wunderschönen Blüte im schwarzen Haar und sie öffentlich zur schönsten aller Blüten erklärt hatte. Auf diese Weise sollen Kaiserin und Kaiser zufrieden und sehr reich geworden sein und wenn sie nicht gestorben sind, werden sich beide im kommenden Frühsommer wieder an der unbeschreiblicher Pracht eines himmlisch duftenden Blütenmeeres erfreuen.
Wie bei allen Legenden, gilt es auch hier nach dem wahren Kern zu fragen. Ist die wundersame Vermehrung erklärbar? Ja, unter bestimmten Bedingungen verwachsen nämlich Teile verschiedener Pflanzen miteinander. Dies funktioniert nur, wenn möglichst nahe Verwandtschaft zum anderen Pflanzenteil besteht, z.B. Apfel mit anderen Apfelsorten. und natürlich sollte eines der beiden Pflanzenteile eine Wurzel zur Nährstoffaufnahme besitzen. Die gärtnerische Vermehrung nach diesem Prinzip, nennt man allgemein Veredlung. Dabei führen verschiedene Techniken, unterschiedliche Bedingungen und die Verwendung von Zellwuchsstoffen zum gewünschten Erfolg ohne an Wunder glauben zu müssen.
Gibt es diese wunderschöne Blume wirklich? Der Beschreibung nach ja, sie heißt Paeonia rockii und gehört zu den baum- bzw. strauchartig wachsenden Pfingstrosen aus dem rauen Klima Nordwestchinas. Nach ihrem Entdecker Josef Rock, wird sie auch vereinfacht Rockii Baumpfingstrose genannt. Neben der weißen Form mit dunklem Fleck gibt es auch weitere wunderschöne Farb- und Naturformen. Neben auffallender Schönheit durch den exotisch wirkenden Blütenfleck, zeichnen sich die meisten Formen meist durch außerordentliche Robustheit und einer Kälte und Trockenheitsresistenz aus. Diese wunderschöne Pflanzenart kann erst seit einigen Jahren aus China importiert werden, muss aber heute nicht mehr mit Gold und Edelsteinen bezahlt werden.
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